21.11.23

Landtagswahl 2021

Wahlprüfsteine / Koalitionsvertrag

Nach der Wahl ist vor der Wahl!

Der Richterbund M-V hat im Februar 2021 die im Landtag Meckelnburg-Vorpommern vertretenen Parteien und die FDP sowie Bündnis 90 / Die Grünen angeschrieben und um Beantwortung des nachstehenden Fragenkatalogs zur Juztizpolitik des Landes gebeten.

Zwischenzeitlich liegt der Koaltionsvertrag "AUFBRUCH 2030" zwischen SPD und Die Linke vor, der hier nachgelesen werden kann. -> Koalitionsvertrag

Bei Interesse können hier weiterhin die Wahlprüfsteine der Parteien als Dokumente nachgelesen werden.

Fragenkatalog mit Erläuterungen

I. Schwerpunkte der Justizpolitik

Eine funktionierende Justiz ist nicht nur ein Verfassungsgebot. Sie sichert den Rechtsfrieden und die Rechtssicherheit und setzt so letztlich die rechtsstaatliche Ordnung durch. Sie hat gerade in Zeiten wachsender gesellschaftlicher Spannungen, gegenwärtig bedingt durch vielfache Zuwanderung und die Auswirkungen der CORONA-Krise, in unserer Gesellschaft eine unverzichtbare Stabilisierungsfunktion.

Wo liegen Ihre Schwerpunkte in der Justizpolitik für die kommende Legislaturperiode?

II. Überalterung der Justiz und Personalentwicklung

Die Altersstruktur bei den Richtern und Staatsanwälten in M-V ist weiterhin – trotz eines Anstiegs bei den Neueinstellungen während der jetzt auslaufenden Legislaturperiode – maßgeblich durch die umfangreichen Einstellungen nach der politischen Wende geprägt. Danach sank die Zahl der Neueinstellungen deutlich ab. Obwohl die jetzt anlaufende Pensionierungswelle erst in kommenden Jahren ihren Höhepunkt erreichen wird, gibt es schon jetzt Probleme, alle freiwerdenden Planstellen neu zu besetzen. Die Situation in den anderen neuen Ländern ist identisch, viele alte Bundesländer haben ebenfalls bereits das Problem, geeigneten Nachwuchs zu finden. Um die Abgänge einigermaßen auszugleichen, hätte die Landesregierung schon vor Jahren vorausschauend damit beginnen müssen, kontinuierliche Einstellungen vorzunehmen, auch über den derzeitigen Personalbedarf hinausgehend. Das ist leider unterblieben. Außerdem hat der Richterbund die Landesregierung immer wieder darauf hingewiesen, dass zusätzlich auch andere Instrumente erforderlich wären, um den anstehenden Generationswechsel bei Richtern und Staatsanwälten abzufedern. So würde etwa eine befristete Wiedereinführung der Altersteilzeit für bestimmte Geburtsjahrgänge die Attraktivität eines vorzeitigen Eintritts in den Ruhestand erhöhen. Dadurch freiwerdende Stellen könnten frühzeitig zur Neubesetzung verwendet werden.

1. Sind Sie bereit, zur Sicherung der Rechtspflege in naher Zukunft auch über den aktuellen Bedarf hinaus Richter und Staatsanwälte einzustellen?

2. Befürworten Sie die befristete Wiedereinführung der Altersteilzeit für bestimmte Geburtsjahrgänge bei Richtern und Staatsanwälten?

III. Attraktivität des Staatsanwalts- / Richteramts in Mecklenburg-Vorpommern

Neben der Bereitschaft zur Einstellung neuer Richter und Staatsanwälte ist es auch erforderlich, genug qualifizierte Bewerber zu finden, die bereit sind, dauerhaft als Richter oder Staatsanwalt in Mecklenburg-Vorpommern zu arbeiten. Bei der Gewinnung geeigneter Absolventen steht die Justiz bundesweit in harter Konkurrenz mit Anwaltskanzleien und Wirtschaftsunternehmen, die inzwischen zunehmend mit familienfreundlichen Arbeitsmodellen locken. Auch zwischen den Landesjustizverwaltungen gibt es einen Wettbewerb um qualifizierte Nachwuchskräfte. Von denen, die die Wahl haben, entscheiden sich nicht wenige für eine Arbeitsperspektive in den Ballungsräumen. Hier droht Mecklenburg-Vorpommern ins Hintertreffen zu geraten. Eine zahlenmäßig und qualitativ auskömmliche Besetzung von Richter- und Staatsanwaltsstellen wird künftig nur gelingen, wenn die Attraktivität von Mecklenburg-Vorpommern als Arbeits- und Lebensstandort für Absolventen gesteigert wird. Da dies erfahrungsgemäß besser gelingt, wenn schon die juristische Ausbildung hier im Land absolviert worden ist, hat die Abwicklung der juristischen Fakultät in Rostock die Ausgangsposition des Landes noch deutlich weiter verschlechtert. Ein weiterer wichtiger Attraktivitätsfaktor ist die technische Ausstattung, die die Justiz ihren Bediensteten anbieten kann. Hier stehen mit der Einführung der elektronischen Akte und der zunehmenden Bedeutung von digitalen Verhandlungsformaten riesige Herausforderungen bevor, denen derzeit weder die technische Ausstattung, noch der Aus- und Fortbildungsstand des Personals gewachsen sind. 

1. Wie wollen Sie die Attraktivität des Staatsanwalts- / Richteramts in Mecklenburg-Vorpommern stärken? Welche Konzepte haben Sie, um die Zahl qualifizierter Bewerbungen für den Richter- und Staatsanwaltsdienstes in Mecklenburg-Vorpommern zu erhöhen?

2. Befürworten Sie die Wiedereinführung eines vollwertigen juristischen Studiengangs an der Universität Rostock?

3. Wie wollen Sie die Justiz „fitmachen“ in Bezug auf technische Ausstattung und den Wissensstand des Personals im Umgang mit den Herausforderungen einer zunehmend digitalen Arbeitswelt?

IV. Besoldung und Versorgung

Durch die Föderalismusreform wurde die Richterbesoldung auf die Länder übertragen. Dadurch ist es bereits zu erheblichen Differenzen zwischen Bund und Ländern, sowie zwischen den Ländern gekommen. Es ist abzusehen, dass Bundesländer mit schlechterer Besoldung künftig große Schwierigkeiten haben werden, den entsprechenden hochqualifizierten Nachwuchs zu finden (vgl. auch Frage II.). Eine bundesweit gleichermaßen gut funktionierende Justiz ist damit in Gefahr.

Bundesweit fällt die Besoldung von Richtern und Staatsanwälten im Vergleich zum Einkommen anderer juristischer Berufe mit vergleichbarer Qualifikation überdies immer weiter ab. Im europäischen Vergleich ist die Besoldung allenfalls noch Mittelmaß. Von einer der Bedeutung der Justiz für das Funktionieren unseres Staatswesens angemessenen Besoldung kann damit nicht mehr die Rede sein. In einigen Bundesländern wird sogar schon die Grenze zur Verfassungswidrigkeit unterschritten. Schon 2009 hat der Europarat Deutschland in seiner Resolution Nr. 1685 aufgefordert, die Gehälter der Richter und Staatsanwälte auf ein Niveau anzuheben, das der Würde und Bedeutung des Amtes entspricht.

Zwar unternimmt die Landesregierung mit dem Besoldungsneuregelungsgesetz nunmehr – spät – erste Schritte hin zu einer Steigerung der Attraktivität unserer Landesjustiz. Dennoch wird es ohne weitere ehrgeizige Maßnahmen dabeibleiben, dass die Besoldung in Mecklenburg-Vorpommern sich im Quervergleich zu den anderen Bundesländern bestenfalls im hinteren Mittelfeld bewegt.

1. Was halten Sie davon, dass die Richter und Staatsanwälte in Bund und Ländern für gleiche Aufgaben unterschiedlich besoldet werden?

2. Werden Sie sich nach der nächsten Landtagswahl für die Rückkehr zu einer bundeseinheitlichen Besoldung der Richter und Staatsanwälte einsetzen?

Wie stehen sie unabhängig von der Frage der Rückkehr zur bundeseinheitlichen R-Besoldung zu folgenden Fragen:

3. Sind Sie bereit, die (derzeit niedrigere) Landesbesoldung der (höheren) Bundesbesoldung für Richter und Staatsanwälte anzupassen?

4. Halten Sie die Besoldung der Richter und Staatsanwälte in Mecklenburg-Vorpommern noch für amtsangemessen? Wenn nicht, wird sich Ihre Partei/Fraktion für eine Anhebung der Besoldung der Richter und Staatsanwälte auf ein amtsangemessenes Niveau einsetzen?

5.Sind Sie jedenfalls bereit, die Tarifabschlüsse des Öffentlichen Dienstes zeit- und inhaltsgleich für die Beamten, Richter und Staatsanwälte zu übernehmen?

6. Stehen Sie dafür ein, dass es in der kommenden Legislaturperiode keine Kürzung von Versorgungs- und Beihilfeleistungen geben wird?

VI. Selbstverwaltung

Der Deutsche Richterbund fordert seit langem die Selbstverwaltung der Justiz, wie sie in fast allen Staaten Europas üblich ist. Die Dritte Gewalt muss sich wie Legislative und Exekutive in ihren Organisationsbereichen selbst verwalten können. Das beinhaltet, dass sie das Recht erhält, ihren Haushalt unmittelbar beim Parlament einzuwerben. Im verfassungsrechtlich zulässigen Rahmen muss die Justiz ihre Personalentscheidungen selbst treffen können. Eine Rechenschaftspflicht darf nur gegenüber dem Parlament bestehen.

Das Grundgesetz steht der Einführung einer Selbstverwaltung der Justiz nicht entgegen. Der Deutsche Richterbund hat ein Mustergesetz erarbeitet, das einen Justizwahlausschuss und einen Justizverwaltungsrat als Organe einer selbstverwalteten Justiz vorsieht. Damit wird dargelegt, dass und wie in den bestehenden verfassungsrechtlichen Strukturen die Länder im Rahmen ihrer Justizhoheit eine Selbstverwaltung einführen können.

Die Exekutive hält stattdessen die Gerichte und Staatsanwaltschaften in vielfältiger Abhängigkeit. Personal- und Sachmittel weist der Finanzminister zu. Politische Einflüsse, Partei- und Kabinettsdisziplin hindern eine wirkliche Unabhängigkeit

im Sinne der Gewaltenteilung. Umstrittene Einflussnahmen aus der Landesregierung hatten auch in der ablaufenden Legislaturperiode Einfluss auf den Verlauf wichtiger Besetzungsverfahren im Bereich der Justiz.

Die parlamentarische Versammlung des Europarates beklagte bereits in einer Resolution vom 30.09.2009 (Nr. 1685) erhebliche Defizite der Justizstruktur in Deutschland und forderte Deutschland nachdrücklich dazu auf, eine unabhängige Justizverwaltung einzurichten.

1. Welchen Standpunkt vertreten Sie zur Selbstverwaltung der Justiz?

2. Werden Sie sich nach der nächsten Landtagswahl für die Schaffung der verfassungsrechtlichen und gesetzgeberischen Voraussetzungen für eine Selbstverwaltung der Justiz in M-V einsetzen?

VII. Unabhängigkeit und Weisungsrecht

Wortmeldungen von Politikern, die sich teils ungefragt, teils von Medien unterstützt bzw. getrieben, in aktuelle Justizfälle einmischen, besonders wenn es den eigenen Wirkungskreis betrifft, gibt es auch in M-V immer wieder. Dabei reichten die Forderungen in der Vergangenheit von der Verhängung harter Strafen, über die Einstellung eventuell investitionsschädlicher Ermittlungsverfahren, bis hin zum unmittelbaren Eingreifen der Justizministerin in Ermittlungs- oder Gerichtsverfahren.

1. Wie stehen Sie zur politischen Unabhängigkeit der Justiz?

2. Wie ist Ihre Position zum Weisungsrecht des Justizministers gegenüber der Staatsanwaltschaft im Einzelfall?

VIII. Regelanfrage beim Verfassungsschutz

Die rechtsprechende Gewalt ist den Richtern und Staatsanwälten anvertraut. Die Verfassungstreue ist unabdingbare Voraussetzung für eine Tätigkeit im höheren Justizdienst. Der sorgfältigen Auswahl des hierfür vorgesehenen Personals kommt besondere Bedeutung zu. In den letzten Jahren ist gesamtgesellschaftlich ein Erstarken verfassungsfeindlicher Kräfte in Deutschland wahrzunehmen. Deshalb wird in verschiedenen Ländern – auch in Mecklenburg-Vorpommern – diskutiert, Richter und Staatsanwälte vor ihrer Einstellung einer Regelanfrage beim Landesamt für Verfassungsschutz zu unterziehen. Dem wird teilweise entgegengehalten, es drohe „Gesinnungsschnüffelei“ und die Gewinnung von Erkenntnissen durch den Verfassungsschutz sei nicht hinreichend transparent.

1. Wie stehen Sie zu der Einführung einer Regelanfrage bei Einstellung von Richtern und Staatsanwälten?

2. Welche anderen Möglichkeiten halten Sie für (ggf. besser) geeignet, die Einstellung von nicht uneingeschränkt verfassungstreuen Bewerbern in den höheren Justizdienst zu verhindern?   

 

Wahlprüfsteine der im Landtag vertretenen Parteien plus Bündnis 90 / Grüne und FDP